Über uns

Das Revaler Patriziergeschlecht Riesenkampff und seine deutsch-baltische Geschichte
Die deutsch-baltische Familie Riesenkampff stammt ursprünglich aus Hildesheim in Niedersachsen, wo sie das Bürgerrecht besaß, und Hausbesitz hatte.
Von dort aus wanderten die Brüder Heinrich und Hans Riesenkampff im 16. Jahrhundert in die Hansestadt Reval (Tallinn) aus. Der jüngere Bruder Hans heiratete insgesamt drei Mal in angesehene Revaler Kaufmannsfamilien ein und hatte neun Kinder. Sowohl Heinrich als auch Hans waren Brüder der Bruderschaft der Schwarzenhäupter zu Reval und anschließend nach ihrer Heirat Brüder der Großen Gilde zu Reval, der Standesorganisation der besonders einflussreichen und vermögenden Kaufleute der Stadt. Heinrichs jüngster Sohn Heinrich fiel 1602 während des polnisch-schwedischen Krieges bei dem Gefecht auf dem Antonisberg zur Verteidigung Revals gegen polnische Truppen.
Waren die ersten Angehörigen der Familie Riesenkampff noch Kaufleute, erweiterte sich bald das berufliche Wirkungsfeld. Es kamen Militärs, Mediziner, Juristen, Gutsbesitzer und –Verwalter hinzu.
Der schwedische General Adam Ludwig Graf Lewenhaupt listet in seinem Werk „Karl XII:s Officerare“ über das Offizierkorps der schwedischen Armee im Nordischen Krieg (1700 bis 1721) allein vier Mitglieder der Familie Riesenkampff als schwedische Offiziere auf. Später kamen noch bis zum Ende des ersten Weltkrieges verschiedene hohe kaiserlich-russische Offiziere und Generäle, häufig in Garde- oder Kosakeneinheiten, hinzu. Ein anderer Riesenkampff, Alexander Jegorowitsch, war als Militärarzt mit dem berühmten russischen Schriftsteller Dostojewski eng befreundet. Er ließ Dostojewski eine Zeitlang Anfang der 1840er Jahre bei sich in St. Petersburg wohnen, wo dieser an der angesehenen Militärischen-ingenieurtechnischen Universität studierte und sein Leutnantspatent erhielt. Später machte sich Alexander Jegorowitsch auch als Botaniker einen Namen.
Im 17. und 18. Jahrhundert erfolgten in den verschiedenen Familienlinien insgesamt neun Nobilitierungen einschließlich zweier Namensänderungen.
1687 wurde ein Riesenkampff als schwedischer Rittmeister geadelt und nannte sich fortan „von Rosenkampff“. Diese Linie erhielt später den finnischen Freiherrentitel, so dass im frühen 19. Jahrhundert ein Freiherr von Rosenkampff in Finnland als „Koski Parun“ (Stromschnellen-Baron) bekannt wurde, da er maßgeblich am Bau des Imatra-Kanals beteiligt war. Die Familie war in Schweden, Livland und Finnland ansässig. Ein weiterer Riesenkampff erhielt für seine Verdienste als kaiserlich-russischer Kapitän im Siebenjährigen Krieg 1780 den Römischen Reichsadel verliehen und nannte sich von nun an „von Rehekampff“. Dieser Familienzweig lebte in Ösel (Saaremaa) und Bessarabien (heute Republik Moldau). Die anderen Familienlinien wurden ebenfalls geadelt (russischer Dienstadel und sächsischer Reichsvikariatsadel), verzichteten aber als Revaler Hanseaten meist auf das Führen des Namenszusatzes.
Bis zur Einführung der russischen Magistratsverfassung 1878 oblag der bereits erwähnten Großen Gilde die Repräsentanz von Stadtgemeinde und Bürgerschaft in Reval. Insgesamt stellte die Familie Riesenkampff 21 Gildemitglieder, den ersten 1575, und den letzten 1909. Der letzte Ratsherr der Stadt, der noch nach der alten lübischen Verfassung gewählt wurde, war im Jahre 1876 Justus Riesenkampff. Der letzte deutschsprachige stellvertretende Bürgermeister der Stadt war 1918 Carl-Alexander Riesenkampff. Nikolai Alexandrowitsch von Riesenkampff (gen. Rehekampff) geriet 1892 als Generalleutnant und Kommandeur der 5. Kavalleriedivision mit einem Adjutanten des Zaren derart aneinander, das schließlich beide den Dienst quittierten. Er starb 1904 in Griechenland und ist auf dem russischen Friedhof in Piräus begraben.
Ein anderer Riesenkampff war als Ehrenmitglied der Universität Moskau bei der liberalen Kodifizierung der russischen Gesetzessammlung beteiligt, wiederum ein anderer Riesenkampff war Erzieher der Söhne des russischen Großfürsten Michail Nikolajewitsch in Tiflis, andere wurden Gutsbesitzer im heutigen Polen, einer wurde Direktor des kaiserlich-russischen Theaters, eine andere Riesenkampff war als Bildhauerin Mitbegründerin des Museums für Moderne Kunst in Sao Paulo/ Brasilien und eine weitere Riesenkampff heiratete einen Pascha, der 1918 türkischer Botschafter in Berlin war. Ein anderer Teil der Familie Riesenkampff hatte sich 1896 wiederum in Riga niedergelassen. Wie andere deutsch-baltische Familien in russischem Staatsdienst auch, ob als Militär oder Beamte, fanden sich Mitglieder der Familie Riesenkampff in fast jedem Teil des damaligen russischen Zarenreiches.
Im Zuge des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgekommenen Panslawismus wurde eine Russifizierung auch im Baltikum forciert.
So durfte an der bis dahin weitestgehend deutschsprachigen Universität Dorpat (estnisch Tartu, von 1893 bis 1918 russisch Jurjew) ab 1893 nur noch auf Russisch gelehrt werden, was auch die anderen Universitäten im Baltikum betraf. In der Folge schickten viele deutsch-baltische Familien ihre Söhne wieder zum Studium oder zu Studienaufenthalten nach Deutschland. So auch Georg von Riesenkampff aus Riga, der 1913 sein Studium in Leipzig begann. Dort wurde er vom Ausbruch des 1. Weltkrieges überrascht, meldete sich als Kriegsfreiwilliger zu dem königlich-bayerischen Jägerregiment 1 in Aschaffenburg und ist 1917 in Rumänien als deutscher Leutnant gefallen – während die anderen Riesenkampffs wie die meisten deutsch-baltischen Familien auch, als loyale Untertanen des Zaren und als kaiserlich-russische Offiziere gegen Deutschland kämpften.
Nach der Oktoberrevolution, den Wirren und schweren Kämpfen des Russischen Bürgerkrieges und der Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten verblieb die Familie vorerst im Baltikum.
Nach der Unabhängigkeit Estlands wurde 1923 die sich in der Innenstadt Revals befindliche „Riesenkampff-Straße“ in J. Vilmsi Straße umbenannt. Im Zuge der Umsiedlung aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts verließen die letzten Riesenkampffs Ende 1939 bis Anfang 1940 endgültig das Baltikum und kamen überwiegend nach Deutschland. Lediglich Karl-Otto Riesenkampff war als ehemaliger Militärarzt von den Sowjets verschleppt worden und starb 1955 in Leningrad. Seitdem sind keine bekannten Mitglieder der Familie mehr im Baltikum, in Russland oder in anderen Teilen des ehemaligen russischen Zarenreiches (mit Ausnahme Polens) ansässig.
Von den vier alten baltischen (und mittlerweile erloschenen) Traditionscorps Curonia, Estonia, Livonia und Fraternitas Rigensis war von zweien ein Riesenkampff der letzte Senior (Dr. Jürgen Riesenkampff bei der Fraternitas Rigensis, gegründet 1823, und Carl-Otto Riesenkampff bei der Estonia, gegründet 1821). Die fast 400-jährige Familiengeschichte der Riesenkampffs im Baltikum war zu Ende gegangen. Dafür spiegelt dieser kurze Abriß der Riesenkampff´schen Familiengeschichte umso eindrücklicher sowohl die politischen und historischen Wechsel und Wirren der Zeit im Baltikum und im russischen Zarenreich wider, zeigt aber auch auf beeindruckende Weise wie hochmobil manche Menschen und Familien schon lange vor dem heutigen Zeitalter der Globalisierung waren.




